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Gletscher

Reiseberichte Chile

Die Carretera Austral und ihre Abenteuer (#077)

25. Februar 2024

– Von Marmorhöhlen, anstrengenden Wanderungen und einem platten Reifen –

Wie auch zum Teil schon im letzten Artikel („Wie geht es jetzt weiter? #076“) sind wir noch immer auf der Carretera Austral unterwegs und die Landschaft könnte schöner nicht sein…

Wir erreichen Puerto Rio Tranquillo, das dafür bekannt ist, Ausgangsort für einen besonderen Bootstrip zu sein. Und so reiht sich dort eine kleine Holzhütte an die nächste und alle verkaufen den Touristen diese besagte Tour…die Tour zu den hier sehr bekannten Marmorhöhlen! Auch wir wollen uns das nicht entgehen lassen und so stehen wir früh am nächsten Morgen bestens mit Regenkleidung und Schwimmweste ausgestattet am Hafen, von wo die Bootstour losgehen soll.

Und dann ist es soweit! Mit einigen anderen Touristen heizen wir in unserem Bötchen über den See. Apropos See…welcher mag das wohl sein? Genau, der Lago General Carrera…der zweitgrößte See Südamerikas ist mit seinen 1850 km² auch hier anzutreffen. Waren wir doch in den letzten Tagen über Stunden an ihm entlang gefahren (s. dazu unsere Route) und hatten seine Schönheit von Land aus bewundert, so kommen wir ihm nun ganz besonders nah als uns so manche Welle mitten ins Gesicht schwappt…dafür war also die Regenkleidung gedacht! Wir haben tatsächlich Glück mit dem Wetter, so war gestern noch ein recht verregneter Tag und heute hingegen strahlt die Sonne zwischen noch ein paar übrig gebliebenen Wolken hindurch und verleiht dem See damit seinen besonderen Glanz. Nachdem wir zwei alte Schiffswracks passiert haben, die hier früher für die Minenarbeit eingesetzt wurden, erreichen wir die Marmorhöhlen. Diese Marmorhöhlen sind durch Erosion über die letzten 6000 Jahre hinweg entstanden und bilden daher ein besonderes Naturschauspiel, wie es in dieser Form auf der Welt einmalig ist. Wir sind an diesem Morgen allerdings nicht das einzige Boot, was diesen außergewöhnlichen Ort erkunden möchte und so wird es so manches Mal ganz schön wuselig in den Höhlen. Ja genau…“in“ den Höhlen, denn zu unserem Erstaunen, fahren wir mit unserem Boot tatsächlich in die engen, sehr fragil wirkenden Höhlen hinein und so manches Mal ist „Kopfeinziehen“ angesagt.

Das türkisfarbene Wasser, die Sonnenstrahlen, der Marmor…all das lässt es an diesem Vormittag zu einem wunderbaren Farbenspiel werden lassen und so ist auch dieser Besuch ein besonderes Erlebnis.

Nach unserem Bootstrip geht es mit Sprinti weiter entlang der Carretera Austral und dann endlich ist es soweit….nach hunderten Kilometern Schotterpiste erreichen wir wieder geteerte Straße…yippieh! Schon so ein bisschen Asphalt kann uns Freude bereiten…und Sprinti erst! Also heißt es jetzt wieder…Reifen aufpumpen!

Nach einem Zwischenstopp in der Stadt Coyhaique mit Wäschewaschen, Recherchieren, Organisieren & Co erreichen wir den Nationalpark Queulat, einer der schönsten Nationalparks in ganz Chile. Bekannt ist er vor allem für seinen gewaltigen Hängegletscher Ventisquero Colgante. Kurz vor Mittag kommen wir dort an und legen gleich mit unserer Wanderung los, die uns zum besten Aussichtspunkt für den Gletscher bringen soll. Wir sehen zwar ein paar Hinweisschilder, dass der Wanderweg ab 13:30 Uhr geschlossen sein soll, aber der Weg ist ja nicht weit und so „übersehen“ wir die Schilder einfach mal dezent. Was wir allerdings nicht bedacht haben, dass der Trail nicht sehr gut ausgebaut und auch recht steil ist…somit dauert’s dann doch ein wenig länger. Es geht über Felsen und Baumwurzeln, was uns bei Temperaturen von rund 30 Grad ordentlich ins Schwitzen bringt. Irgendwann ist niemand mehr in unserer Richtung unterwegs, sondern es kommen uns immer mehr Leute entgegen, die sich bereits auf dem Rückweg befinden. Einige Wanderer sagen uns dann, der Aussichtspunkt wäre bereits geschlossen…och nö! Wir laufen weiter, schließlich sind wir kurz vor unserem Ziel. Als wir nur noch 300 Meter vom Aussichtspunkt entfernt sind (den Gletscher sehen wir allerdings vor lauter Wald noch nicht), kommt uns eine Rangerin (Nicole) entgegen, die uns mitteilt, dass wir zu spät dran sind und mit ihr den Weg wieder runter und zurück zum Ausgang müssen…aber so was von nö! Nach einigen Diskussionen müssen wir uns geschlagen geben und wandern ziemlich geknickt gemeinsam mit Nicole die 1,5 Stunden bergabwärts. Wie heißt es so schön: „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ Also sind wir selbst Schuld und kommen letztendlich schnell mit Nicole ist Gespräch…jetzt haben wir ja Zeit auf unserem Weg nach unten. Am Ausgangspunkt angekommen erlaubt uns Nicole schnell noch einen Abstecher zu einem anderen Aussichtspunkt einzulegen und somit doch noch einen Blick auf den Hängegletscher werfen zu können. Wir verabschieden uns von ihr und laufen im Eiltempo zur besagten Plattform, die in nur wenigen hundert Metern erreichbar ist, allerdings etwas weiter entfernt vom Gletscher liegt als unser Ursprungsaussichtspunkt. Wir sind tatsächlich mutterseelenallein im Park, niemand ist mehr hier. Und dann plötzlich lichtet sich der Wald und vor uns liegt ein türkisfarbender See und hoch empor ragt der Gletscher, von dem sich ein Wasserfall in die Tiefe stürzt…einfach toll, sage ich Euch!

Dann heißt es allerdings schnell zurück zum Wagen, denn der Park schließt seine Tore in wenigen Minuten. Andere Menschen haben wir schon lange nicht mehr gesehen…wir sind die letzten Besucher im Nationalpark an diesem Tag. Und auch Sprinti steht mutterseelenallein auf dem Parkplatz…jetzt also nichts wie weg hier!

An diesem Abend finden wir einen Stellplatz direkt an einem See und werden am nächsten Tag vom Hahnengekrähe geweckt…was wir jetzt tatsächlich schon länger nicht mehr hatten.

Wir fahren weiter und erreichen Chaitén, eine kleine Hafenstadt mit rund 5000 Einwohnern. Dort stehen wir auf einem wunderschönen Campingplatz direkt am Meer. Und wie der Zufall es so will, treffen wir dort auch Maya und Adi wieder, ein Schweizer Pärchen, das wir in Panama kennengelernt und in Kolumbien ebenfalls zufällig wiedergetroffen haben. Auf diesem Platz lässt es sich aushalten…wenn auch gleich riesige Bremsen (in einigen Regionen Deutschlands auch Bliesen genannt) hier ihr Unwesen treiben.

Chaitén ist umgeben von vielen Vulkanen, einer davon ist der gleichnamige Chaitén. Und da wollen wir hoch! Also schlüpfen wir am nächsten Tag erneut in unsere Wanderschuhe und auf geht’s! Auch wenn wir hier nur über eine 4,83 Kilometer (insgesamt) lange Wanderung reden, hat die es wirklich in sich und fällt damit unter die Kategorie „schwer“. Es müssen auf dieser kurzen Strecke ordentlich Höhenmeter zurückgelegt werden…wir sind also gespannt. Direkt geht es mit der Überquerung eines kleinen Baches los, also eigentlich halb so wild. Galant läuft Peter über die Steine und steht im Nu auf der anderen Seite. Jetzt bin ich an der Reihe und wir wissen beide, dass das nicht zu meinen Top-Spezialitäten gehört. Dennoch betrete ich selbstbewusst den ersten Stein…jetzt noch zwei oder drei Schritte und ich bin ebenfalls auf der anderen Seite.

„Platsch“…und da liege ich! Bin ich doch nichts ahnend auf einen wackeligen Stein getreten, der heute anscheinend nicht so viel Lust auf mich hatte und sich dann spontan weggedreht hat. Peter eilt mir zur Hilfe und tritt dabei auf mein Handy, was ich zum einen umgebunden habe und was zum anderen im Wasser liegt. Ich komme dadurch nicht schnell genug wieder hoch…die Hose ist nass und das Handyband reißt. Ja, das fängt ja gut an! Der anstrengende Part kommt doch noch und ich habe bereits nach zweihundert Metern ’ne nasse Hose und ein abgerissenes Handy! Aber letzeres hat den Sturz und das Wasser zum Glück heile überstanden und die Hose wird bei diesen Temperaturen eh schnell wieder trocken sein. Peter und ich müssen beide ein wenig schmunzeln, ist das doch typisch ich! So kommt es durchaus vor, dass ich beim Wandern stolpere, ausrutsche, hinfalle oder mir einen Splitter in die Hand ramme beim Versuch mich noch irgendwo festzuhalten. Ja, das hat man davon, wenn man wild in der Weltgeschichte umherschaut, immer neugierig etwas Neues zu entdecken und plötzlich Steine oder Baumwurzeln den Weg kreuzen. Aber wie heißt das so schön: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weiter geht’s!“ Also nehmen wir das heute mal wörtlich!

Und dann merken wir schnell, was „steil“ bedeutet! 621 Höhenmeter gilt es auf den nur knapp 2,4 Kilometern zu bewältigen und die Wege sind mehr schlecht als recht prepariert. Puh! Wir keuchen und schwitzen was das Zeug hält und so manches Mal kommt die Frage auf: „Warum machen wir das überhaupt?“ Aber genauso simpel ist auch die Antwort: „Weil es sich lohnt!“ Was zusätzlich ein wenig hilft, ist zu sehen, dass es allen Anderen genauso ergeht wie uns. Und so quälen wir uns Meter für Meter den Vulkan hoch und kämpfen zusätzlich mit den Unmengen an Bremsen, die auch hier noch nichts von „Abstandsregelung“ o.ä. gehört haben und in Scharen um uns fliegen. So besorgen auch wir uns kleine „Palmwedel“, nur um die Bremsen wenigstens ein wenig von uns abzuhalten…gestochen werden wir trotzdem…und das nicht nur einmal!

Dann endlich haben wir es geschafft! Wir sind am Krater des Vulkans angekommen! Der Krater bemisst sich auf einen maximalen Durchmesser von sagenhaften 3,53 Kilometern. Mittendrin befindet sich eine Lavakuppel, also ein Hügel der durch die Eruptionen entstanden ist. Am 2. Mai 2008 brach Chaitén, den man schon für erloschen gehalten hatte, überraschend wieder aus. Eine bis zu 20 Kilometer hohe Aschewolke erhob sich über dem Krater und innerhalb von vier Tagen wurden mehr als 60 vulkanische Erdbeben ausgelöst. Über 4000 Menschen in der Umgebung mussten damals evakuiert werden und eine ältere Dame verlor ihr Leben. Gemäß einer Radiokohlenstoffdatierung des letzten Lavastroms hatte die vorletzte Eruption vor ca. 9450 Jahren stattgefunden. Die letzten Eruptionen fanden dann von 2008 bis 2011 mehr oder minder kontinuierlich statt. Seit 2013 gilt die Eruption als beendet. Und dennoch sehen wir, wie auch an diesem Tag Rauch aus der Lavakuppel hervorsteigt. Die Aussicht hier oben ist zudem ganz fantastisch und lässt uns den beschwerlichen Aufstieg ein wenig vergessen…wenn sich auch gleich die Bremsen selbst in dieser Höhe immer wieder in Erinnerung rufen. Aber dafür ist meine Hose mittlerweile wieder getrocknet!

An diesem Tag sind wir besonders froh wieder zurück bei Sprinti zu sein…der Muskelkater wird sicherlich nicht lange auf sich warten lassen.

Tags drauf regnet es in Strömen, was wir ehrlich gesagt gar nicht so schlimm finden, bietet es sich doch geradezu an, es sich in Sprinti mal wieder gemütlich zu machen…und ja, der Muskelkater ist tatsächlich mit an Bord…und was für einer! Plötzlich stellen wir allerdings fest, dass wir mit Sprinti irgendwie schiefer stehen als zuvor. Schnell ist der Grund dafür klar…ein platter Reifen! Da hat die Carretera Austral mit ihrer kilometerlangen Schotterpiste wohl ihr Opfer gefordert. Es hilft nichts, wir müssen raus und den Reifen wechseln. Der Regen, der Muskelkater…alles keine optimalen Voraussetzungen, aber zum einen haben wir immer einen fünften gleichwertigen Reifen dabei und zum anderen sind wir mittlerweile auch schon im Reifenwechseln geübt und so ist auch dieses Problem nach etwa 30 Minuten gelöst. 🙂

Nun heißt es allerdings den kaputten Reifen schnellstmöglich flicken zu lassen, um im Falle einer erneuten Reifenpanne wiederum einen intakten Ersatzreifen dabei zu haben. Also verlassen wir am nächsten Tag schon morgens den Campingplatz und fahren in den Ort Chaitén. Dort fragen wir uns ein wenig durch und landen letztendlich in einer „Gomeria“, die es hier in Südamerika zuhauf gibt. Zwar sind die Werkstätten meist sehr einfach und spartanisch eingerichtet, aber die Menschen verstehen ihr Handwerk und so sind wir nach 20 Minuten und 7,63 EUR startklar zur Weiterfahrt.

Und so schaffen wir es mit Sprinti an diesem Tag auch noch rechtzeitig zur Fähre.

Wohin es damit geht und was wir dort erleben, erfahrt Ihr dann beim nächsten Mal…

USA Reiseberichte

Alaska…Teil 2 (#017)

28. August 2022

– Ein Tunnel, ein Riss und jede Menge Gletscher –

Wir machen uns weiter auf Alaska zu erkunden und fahren auf der Kenai-Halbinsel den Seward und den Sterling Highway (ebenfalls zwei sehr schöne Straßen übrigens) Richtung Homer. Homer ist einer der wenigen Orte auf der Welt, in denen man Gletscher und Vulkane gleichzeitig beobachten kann. Außerdem gibt es dort ein geologisches Phänomen, nämlich eine schmale Landzunge („Spit“), die über 7 km bis ins Meer ragt und somit die zweitlängste weltweit ist. Auf diesem besagten Spit gibt es auf engstem Raum etwas Industrie, Fischfang, Campingplätze, ein paar Lädchen und ein wenig Gastronomie, die vornehmlich Fisch anbietet…natürlich frisch gefangenen. Das trifft sich gut, denn unser Magen ist leer und so landen wir bei  “Captain Pattie’s Fish House” und essen und trinken dort ganz vorzüglich…wenn auch nicht ganz preisgünstig.

Noch am selben Abend fahren wir ein ganzes Stück wieder zurück bis nach Cooper Landing und sehen auf dem Weg in der Ferne drei Moose (kanadische Elche) in der Abenddämmerung grasen. Die Nacht verbringen wir an einem, zumindest etwas von der Straße abgelegenen See, an dem man die Autos der Straße nicht zu sehr hört. Am nächsten Morgen machen wir uns auf zum nahegelgenen Russian River und gehen dort 12 km wandern. Es ist gerade die Zeit der Lachswanderung und so wollen wir sie flussaufwärts springen sehen. Und das gelingt uns auch. Hunderte Lachse tummeln sich im Fluss und wagen immer und immer wieder einen Versuch diese Wassermassen zu überwinden. Viele erfolgreich…manche weniger.
Wo Lachse sind, sind eigentlich auch Bären (besonders Grizzlys) nicht weit entfernt. Viele Wanderer kommen uns schon freudestrahlend entgegen, weil sie welche erspähen konnten. Wir allerdings haben an diesem Tag kein Glück und kommen wohl nicht zur passenden Fressenszeit. Dafür entdecken wir (dieses Mal aus der Nähe) plötzlich ein Moose, was ohne einen Mucks zwischen Bäumen auftaucht und sich keinen Zentimeter bewegt, bis auch wir weitergehen. Auch viele Angler (gefühlt geht jeder Mensch hier oder in Kanada „huntin’“ and „fishin’“) versuchen hier ihr Glück und scheinen auch erfolgreich zu sein. Ich habe echt noch nie so viele Menschen angeln gesehen, wie auf dieser Reise…der absolute Volkssport! Wir genießen die Natur und auch die Bewegung. Die letzten Tage waren geprägt von langen Fahrzeiten, da fühlt sich so ein Tag „draußen“ umso besser an.

Allerdings heißt es auch an diesem Tag noch „weiter geht’s“ und so machen wir uns nach der Wanderung auf nach Seward, eine der ältesten Gemeinden Alaskas…und was bringt uns dort hin? Na klar, der Seward Highway! Wir fahren wieder durch wunderschöne Landschaften und gönnen uns in der Hafenstadt Seward erneut ein leckeres Fischgericht. Es ist zwar schon spät, aber wir machen uns dennoch auf den Rückweg, denn wir möchten an diesem Abend noch nach Whittier, da wir am nächsten Morgen von dort aus in ein Abenteuer starten wollen. Um Whittier zu erreichen gibt es allerdings eine Schwierigkeit…der Ort, mit lediglich 220 Einwohnern, ist umgeben von drei großen Gletschern…man kommt also nicht so leicht hin. Der einzige Weg führt durch einen Tunnel, der „Anton Anderson Memorial Tunnel“ (der Ingenieur des Baus). Dieser Tunnel ist 1941 von der U.S. Army gebaut worden, um Benzin und Waren nach Anchorage (die nächst größere Stadt) zu transportieren. Dieser Tunnel galt allerdings nur einem Zug…nix Auto! Die Wende kam erst im Jahr 2000 als Whittier das erste Mal in seiner Geschichte via Straße mit dem Auto zu erreichen war. Die „einfache“ Lösung: Zug und Auto teilen sich den Tunnel…aber nicht etwa über eine extra Spur, sondern in dem sie nacheinander den Tunnel passieren. Da der Tunnel eh nur einspurig ist, läuft hier nun alles nach einem geregelten Zeitplan, wer wann nach Whittier rein und wieder raus fahren darf. Und so haben wir hier mit 4050 m den längsten kombinierten Zug/Highway-Tunnel in Nordamerika. Wir erreichen an diesem Abend noch ein passendes Zeitfenster und passieren mit Sprinti den Tunnel nach Whittier.

Whittier ist echt ein spezielles Örtchen. Im Winter ist es komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Hier in Whittier leben, wie gesagt, nur 220 Menschen und man glaubt es kaum…es gibt dort nur ein großes Mehrfamilienhaus (der Begich Tower, s. Foto gelb/rot/blaues Gebäude), in dem tatsächlich alle 220 Einwohner leben, d.h. alle Bürger Whittiers haben auch tatsächlich die gleiche Anschrift (wie praktisch für den Postboten). In diesem Gebäude befindet sich zudem die gesamte Infrastruktur des Ortes, wie die Verwaltung und die Behörden der Gemeinde, Einkaufsmöglichkeiten, ein Hospital, Post, Bank, Kirche, Waschsalon, ein kleines Hotel (8 Suiten im obersten Stockwerk), sowie eine Freizeitanlage mit Schwimmbad und Fitnessräumen. Selbst die im Außenbereich untergebrachte Schule, ist mittels eines Tunnels erreichbar, sodass man das Gebäude nicht verlassen muss. Aufgrund dessen erhielt Whittier auch den Spitznamen „Stadt unter einem Dach“ (“city under one roof”). Auch wenn nur so wenige Menschen in Whittier leben, dieses kleine Örtchen kann was…so kommen ⅓ aller Waren, die in Alaska benötigt werden, tatsächlich hier in Whittier an und werden von hier aus weitertransportiert (daher hat der Zug hier auch einiges zu tun).

Was wir vor Ort auch entdecken, ist ein altes leerstehendes Gebäude, das uns irgendwie bekannt vorkommt. Und dann fällt der Groschen…Peter und ich hatten mal eine Dokumentation im Fernsehen gesehen (es gibt nichts, über das Peter nicht schon mal eine Doku gesehen hat), dass dieser alte Army-Stützpunkt nach dem verheerenden Erdbeben von 1964 leer steht. Von diesem besagten Erdbeben („Karfreitagsbeben“) haben wir in den vergangen Tagen schon einiges gehört. Es hatte in der gesamten Gegend hier und im weiten Umkreis einen immensen Einfluss auf die Landschaft, die Tierwelt und die Menschen, der sich auch heute noch bemerkbar macht. Das Erdbeben erreichte eine 9,2 auf der Richterskala und dauerte vier Minuten an, gefolgt von einem Tsunami. Der besagte Army-Stützpunkt ist das Buckner Building und war mal eins der größten Gebäude Alaskas. Es ist nie renoviert oder abgerissen worden. Ersteres war aufgrund der Zerstörung nicht möglich und machte aufgrund des Truppenabzuges auch keinen Sinn, letzteres war schlichtweg zu teuer. Also steht das Gebäude heute noch dort und bringt uns somit die Erinnerung zurück, dass wir den Ort Whittier zuvor schon mal zu Hause vor dem Fernseher kennengelernt hatten…nicht ahnend, dass wir ihn mal live erleben werden.

Nach einer Nacht mit Stellmöglichkeit auf einem Parkplatz und Blick auf einen Gletscher, machen wir uns am nächsten Tag auf, um weitere 26 Gletscher zu erkunden. Mit einem Katamaran (der ganz schön Speed aufnehmen kann) fahren wir raus aufs Meer…auf den Prince William Sound. 1741 hat Vitus Bering, ein dänischer Marineoffizier unter russischer Flagge, Alaska erkundet. Auch ein deutscher Botaniker und Zoologe, namens Georg Wilhelm Steller, gehörte der Bering-Expedition an und so wurden viele Tiere nach ihm benannt…Steller Seelöwe, Steller Seeadler etc. Am 12. Mai 1778 erreichte James Cook die Gegend und nannte es „Sandwich Sound“. Zu Ehren von König George’s III. (nicht „unsere“ Queen Vicky) drittem Sohn wurde es dann in Prince William Sound umbenannt…klingt auch besser als Sandwich. Die allerersten Menschen erreichten allerdings bereits vor 5000 Jahren den Sound, die sogenannten „Alutiit“, dessen Leben sich hauptsächlich um das Jagen und Fischen („huntin’ and fishin’“) drehte (jetzt wissen wir, woher sie es haben).
Mit einer ganzen Schar anderer Touristen (unter Corona-Gesichtspunkten ist mir das unter Deck mit so vielen Menschen in einem Raum gar nicht mal so geheuer) geht es an diesem Tag raus aufs Meer. Peter und mich treibt es schnell raus aufs Deck, um sich das Naturspektakel und die dutzenden Gletscher live und aus der Nähe anzuschauen. Der Wind pfeifft und es ist richtig kalt (definitiv unter 8 Grad :))…aber hey, wir sind ja auch in Alaska…und im Meer schwimmen schließlich Eisschollen, auf denen es sich die Seehunde und Seelöwen gemütlich machen. Auch sehen wir kleine Fischerboote, die hier unter anderem den Lachs fangen, den es bei uns in Deutschland zu kaufen gibt…so hat der „Alaska-Seelachs“ nochmal eine ganz besondere Bedeutung. Es ist faszinierend die gewaltigen und beeindruckenden Gletscher aus der Nähe zu sehen…26 an der Zahl. Auch entdecken wir neben Seehunden und Seelöwen noch viele Otter, hunderte Rissas (eine spezielle Möwenart) und einige Weißflankenschweinswale (was es alles gibt…).

Als wir von der Katamaran-Tour zurück sind, machen wir uns schnell auf durch den Tunnel und legen noch ein paar Stunden Fahrzeit mit Sprinti zurück. Auf dem Weg begegnet uns am Straßenrand sogar noch ein Luchs, der sich schnell aus dem Staub macht als wir näher kommen (typisch Luchs halt). An diesem Abend übernachten wir am Ufer eines reißenden Flusses, der ganz schön Hochwasser hat. Wir parken lieber nicht zu nah dran und hoffen, dass das Ufer hält. Das tut es dann glücklicherweise auch, allerdings ergibt sich am nächsten Morgen ein anderes Problem!

Wir verlassen gerade unseren Schlafplatz und fahren zurück auf den Highway, als sich plötzlich ein langer Riss in unserer Frontscheibe zeigt, der sich immer weiter in die Länge zieht…es ist der Riss, den Bobby Ross (siehe dazu auch unseren Artikel „Reifenpanne auf dem Dempster Highway #014“) zuvor geflickt hatte. Und dieser Riss hat sich nun anscheinend überlegt, sich zu erweitern wäre doch was Feines…vielleicht meint er auch, er bekomme Kilometer-Geld! Peter und ich trauen unseren Augen nicht. Was machen wir denn jetzt? Für diesen Tag stehen hunderte Kilometer auf dem Plan und es schüttet gerade wie aus Eimern und das von morgens bis abends. So können wir auch unser Scheiben-Repair-Kit nicht auftragen, weil wir dafür UV-Licht oder eben halt Sonne benötigen. Die Straßenverhältnisse sind mal wieder suboptimal und eine größere Menschenansammlung, sprich Ort oder Stadt, ist auch weit und breit nicht in Sicht. Ja super!
Wir haben dann aber doch Glück im Unglück, denn der Riss bewegt sich irgendwann nicht mehr weiter und abends kommen wir an einen traumhaften Stellplatz am See. Dort erhaschen wir nach einem kompletten Regentag doch noch eine halbe Stunde Sonne bevor sie unter geht…hoffentlich reicht die Sonneneinstrahlung UV-mäßig dafür noch! Also stehen wir nach einem langen Tag abends um 21 Uhr idyllisch an einem See mit malerischer Kulisse und was machen wir? Scheibe flicken! Tja, so ist das halt! Peter hatte sich bei Bobby Ross „damals“ ja genau angeschaut, wie es mit der Reparatur funktioniert und so klappt es an diesem Abend erstaunlich gut mit unserem Scheiben-Repair-Kit. Na ja, schauen wir mal, ob’s hält, ansonsten haben wir eh ein Problem!

Am nächsten Tag (die Scheibe hat die Nacht gut überstanden) heißt es für uns weiter Richtung Kanada zu fahren, um letztendlich möglichst zeitnah die weiteren Staaten der USA zu erreichen. Da wir für die USA nur ein 90-Tage-Visum besitzen, das bei Grenzübertritt von Kanada nach Alaska gestartet ist und nicht pausiert, wenn wir danach Kanada durchqueren, um die USA-Staaten zu erreichen (da Kanada nicht als Ausreiseland gilt), wollen wir in Alaska und auch in Kanada auf der Rückreise nicht so viel Zeit verstreichen lassen. Somit haben wir unsere Zeit hier in Alaska echt auf das Nötigste beschränkt, was der Gegend und dem Staat eigentlich nicht gerecht wird. Auch hier hätten wir hoch zum Polarmeer fahren können, haben uns aber dagegen entschieden, da die Küste im Privatbesitz von einigen großen Ölfirmen ist und man somit nur mit einer geführten Bustour an das Polarmeer herankommt, umringt von eben diesen besagten Ölfirmen. Daher hatten wir uns entschieden, bereits in Kanada hoch an die Küste zum Polarmeer zu fahren (so konnten wir das auch mit Sprinti tun) und somit den höchsten Punkt unserer Reise dort zu setzen (siehe dazu ebenfalls unseren Artikel „Reifenpanne auf dem Dempster Highway #014“). Viele schöne Gegenden Alaskas sind von uns unentdeckt geblieben und unser Fokus lag eher im Süden des Staates. Aber die gesamte riesengroße USA wird noch viele weitere schöne Ecken für uns bereithalten…da sind wir uns ganz sicher! Ab jetzt heißt es…die Panamericana Richtung Süden!

Wir freuen uns, wenn Ihr uns weiter dabei begleitet…